Über die Vorhersagekraft von Noten, und Feedback

Aufgrund meiner persönlichen Erfahrungen, aber auch weil ich mich schon intensiver mit der Materie auseinandergesetzt hatte, kontaktierte ich Oliver via Twitter, woraus ein guter Austausch entstand. Gleichzeitig holte Oliver diese Diskussion – unter Bezugnahme auf einen Artikel der ZEIT – mit mehreren Tweets direkt auf Twitter und hier auch ins #twitterlehrerzimmer, was zu sehr intensiven Diskussionen führte.

Etwas später tweetete Benedikt Wisniewski zum Thema Feedback. Eine seiner Hauptaussagen war, dass die Varianz der Wirksamkeit unterschätzt, gleichzeitig die Formen mit negativer Wirkung außer Acht gelassen werden und daher die Effektstärke nicht aussagekräftig ist.

Beide haben ihre Positionen aus wissenschaftlicher Sicht sehr solide begründet und auch zusammengefasst (siehe Literatur), weshalb es aus meiner Sicht nichts an deren Erkenntnissen zu kritisieren gibt. Im Sinne des Fazits zum Thema Noten:

Noten sind mit vielfältigen Problemen behaftet. Es gibt gute Gründe, eine ausschließlich auf die Erzielung guter Noten fokussierte Schulpraxis abzulehnen. Wir wünschen uns für die Auseinandersetzung mit diesem wichtigen Thema eine informierte Argumentation“ (Dickhäuser & Wisniewski, 2022),

möchte ich einen Beitrag liefern, um eine solch informierter Argumentation zu ermöglichen.

Zur Noten-Thematik/Problematik

Lawrence R. Samuel macht in seinem Aufsatz und Buch deutlich, dass man beim Thema „Gute Noten und Leistungserfolg“ oftmals der „Big Lie“ (Lawrence R. Samuel Ph.D., 2020) verfällt.

Er verweist hier u.a. auf die Erkenntnisse von Charles W. Cole, Seymour Epstein und Ami Wong. Sofern und so gut es mir möglich war, habe ich entsprechende Quellen mit verlinkt.

Matthew J. Mayhew und Benjamin S. Selznick untersuchten den Zusammenhang von Noten und Innovation. Ein interessanter Punkt „was that as GPAs went down, innovation tended to go up.“ Noten als Innovationsbremse? Den ganzen Artikel gibt es hier.

Der Frage „Was Noten und Leistungstests messen“ gingen Lex Borghans und Bart H.H. Golsteyn (beide Maastricht University and IZA), sowie John Eric Humphries und James J. Heckman (beide University of Chicago) in ihrer Forschungsarbeit nach. Dabei nehmen sie vor allem Bezug auf IQ- und Intelligenzmessungen. Sie kommen zu dem Schluss, dass „on average, grades and achievement tests are generally better predictors of life outcomes than “pure” measures of intelligence.“ Wer sich hiermit näher beschäftigen möchte, kann dies hier tun.

Zum Thema Feedback

Benedikt Wisniewski bezieht seine Kritik u.a. auf eine Studie, die er durchgeführt hat, und die im Detail hier nachzulesen ist.

Jeffrey K. Smith nimmt die Problematik insofern vorweg, als das er untersucht, welche Formen des Feedbacks gewinnbringend sind bzw. untersucht, inwiefern das „Where to next“ Feedback von besonderer Bedeutung ist.

Eine andere Sichtweise nimmt Alina Georgeta ein. Sie untersucht den „Wert des Feedbacks„, speziell das Feedback der Lernenden. Sie kommt zu dem Schluss, dass Feedback als zentraler Punkt für Lernen sei.

In diesem Zusammenhang finde ich auch die Publikationen von Bray und McClaskey interessant und lesenswert. Ganz bewusst verzichte ich am Ende auf ein persönliches Fazit. Für mich steht der Gedanke eines Austauschs im Vordergrund. Hierfür, so hoffe ich, habe ich Anregungen liefern können bzw. habe diese zusätzlich im Literaturverzeichnis hinterlegt.

Literatur

Pimp my Klassenarbeit

Ideen für zeitgemäße Prüfungsaufgaben in altbekanntem Format

Wir können uns die schönsten Dinge, Aufgaben, oder Herausforderungen überlegen: am Ende werden die Lernenden immer fragen, ob bzw. was in der Prüfung drankommt (vgl. https://pruefungskultur.de/). Die Krux dabei ist, an den Prüfungsformaten werden wir nichts ändern können und eine schnelle Veränderung der Formate ist – zumindest kurzfristig – nicht zu erwarten. Daher die Überlegung ein altbekanntes Format wie die Klassenarbeit zu nehmen, deren Struktur auch beizubehalten, aber hier Aufgabenformate einzubauen, die zeitgemäßer sind und auch eine Förderung der 21st century Skills bzw. der Kompetenzen der KMK-Strategie (auf die sich die Kompetenzangaben im Beitrag beziehen) mit sich bringt.

Den folgenden Beitrag schreibe ich aus meiner Sicht und Erfahrung als Mathematiklehrer. Ich bin der festen Überzeugung, dass sich die Ideen auch auf andere Fächer übertragen lassen. Die beschriebenen Aufgaben habe ich so durchgeführt, formuliere aber häufig im Konjunktiv, da ich es als Angebot sehe, welches angenommen werden kann.

Nähert man sich diesem Thema, dann sollte man die Sichtweisen aller Beteiligten berücksichtigen. Nicht nur von Seiten der Lernenden, die danach fragen was sie für die Prüfung benötigen. Gleichwohl muss man sich beim Einsatz „anderer“ Aufgabenformate auch mit den Lehrenden und deren Befürchtungen auseinandersetzen. Eine der größten Sorgen ist hierbei die Frage nach der Überprüfbarkeit und der Sicherheit, dass die Ergebnisse der Lernenden von diesen selbst erstellt wurden. Oder kurz: Ausschluss von Täuschungen. Da die Entschärfung dieser Sorge die Grundlage für andere, zeitgemäße Prüfungs- bzw. Aufgabenformate ist, möchte ich hiermit beginnen.

Bevor es losgeht – Die Academic Honesty Erklärung

Lars Mecklenburg hat mit seinem Aufsatz „Bevor du beginnst“ einen großartigen Artikel geschrieben, den man gemeinsam mit den Lernenden bearbeiten, lesen und diskutieren sollte, ehe man mit offenen Aufgabenformaten beginnt. Am Ende dieser Erarbeitung steht eine Academic Honesty Erklärung, die die Lernenden gemeinsam – am besten kollaborativ – erstellen. In dieser Erklärung werden gemeinsame Richtlinien und Vorgaben erstellt, die von jedem Lernenden unterschrieben und somit akzeptiert werden. Dadurch befindet sich ein jeder in der Verantwortung sich an die Regeln zu halten, die man sich selbst gegeben hat. Ein Beispiel könnte so aussehen:

Zeitgemäße Prüfungsaufgaben – ein erster Einstieg

Ein erster Schritt, um mit neuen Formaten zu beginnen ist m.E. altbekannte Formate, wie die klassische Klassenarbeit zu nehmen und diese weiterzuentwickeln. Zwei Möglichkeiten möchte ich im Folgenden vorstellen.

Eine Möglichkeit wäre es einen Aufgabenpool mit den Lernenden zu entwickeln. Dieser Pool – basierend auf der Kompetenz „Suchen, Verarbeiten und Aufbewahren“ – kann mit unterschiedlichen Tools erstellt und erweitert werden. Stellvertretend für viele andere sei hier TaskCards genannt. Auf einer virtuellen Pinnwand sollen nicht nur Aufgaben gesammelt und strukturiert werden, die Lernenden können diese auch bewerten, also liken, und kommentieren. Außerdem besteht die Möglichkeit Lösungswege und Lösungsideen zu ergänzen und zu diskutieren. Aus diesem Pool kann dann entweder eine Klassenarbeit erstellt werden, oder die Lernenden stellen sich aus diesem Pool selbst eine Klassenarbeit zusammen. Der letzte Punkt würde vor allem auch die Kompetenz Kommunizieren und mathematisch argumentieren stärken (vgl. Bildungsstandards Mathematik). Die Lernenden könnten hier mit Aufgaben beginnen, bei denen sie sich sicher fühlen. Mit Hilfe von Feedback wäre es möglich sie dann dazu zu bringen – im Sinne eines formativen Assessments – ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten weiterzuentwickeln. Ein Beispiel für eine solche Aufgabensammlung ist hier verlinkt.

Aufgaben selbst entwickeln – durch die Lernenden

Will man sich mit zeitgemäßen Formaten auseinandersetzen, so kommt man – auch über die definierten Kompetenzen – zu dem Schluss, dass das bloße Lösen von Aufgaben nicht die Sinnhaftigkeit von Mathematik sein kann. Daher die Überlegung die Lernenden selbst Aufgaben entwickeln zu lassen. Auch hier kann man differenzierend und im Sinne des formativen Assessments vorgehen (siehe hierzu auch den Artikel von Björn Nölte „Formative Assessment: Bewerten um des Lernens Willen„). Gerade in Baden-Württemberg helfen auch die Operatoren des Bildungsplans, die es in anderen Bundesländern in ähnlicher Form gibt, und die die Lernenden dabei unterstützen können Aufgaben von unterschiedlicher Schwierigkeit zu erstellen – natürlich auch deren Lösungen. Neben der Kompetenz „Mathematisch modellieren“, sind wir hier im Bereich der Bildung in der digitalen Welt im Kompetenzbereich „Produzieren und Präsentieren“. Auch die Quantität und Qualität der Aufgaben können Kriterien zur Bewertung dieser Prüfungsaufgabe sein. Moment mal… Quantität? Also wer viel einreicht wird belohnt? Mitnichten. Hier gilt es abzuwägen zwischen Lernenden, die sich einbringen möchten (der Pool kommt ja allen zugute) und die einfach motiviert sind Aufgaben begründet und reflektiert einzureichen und Lernenden, die wahllos und unreflektiert etwas abgeben. Quantität bezieht sich hier mehr darauf einen eventuellen „flow“, eine Auseinandersetzung mit Mathematik nicht zu bremsen.

(Lern-)Videos in Prüfungen

Videos eignen sich aus meiner Sicht sehr gut dazu, um in Prüfungen eingesetzt zu werden. Drei unterschiedliche Einsatzmöglichkeiten möchte ich an dieser Stelle skizzieren.

Warum ein Video nicht als Produkt einer Klassenarbeit gilt, ist vermutlich ausschließlich auf den zeitlichen Rahmen und die Störung der Mitlernenden zurückzuführen. Dennoch würde sich ein Lern- oder Erklärvideo durchaus als asynchrone Prüfungsaufgabe anbieten. Gute Ergebnisse habe ich hier bei der Aufgabe zur Herleitung des Satz des Pythagoras bzw. zur Erklärung des Einheitskreises anhand einer trigonometrischen Funktion gemacht. Hier kann auch differenziert werden, indem die Lernenden Material zur Unterstützung anfordern können. Zentral muss sein, dass die Lernenden in der Lage sind bzw. sie die Kompetenzen zur Erstellung eines solchen Videos haben. Die Gefahr, dass hier ein bereits bestehendes Video reproduziert wird, ist gering.

Zum einen gilt weiterhin die Academic Honesty Erklärung, zum anderen ist allein das sprachliche Mittel ein Indikator dafür, ob das Video selbst erstellt wurde, oder nicht. Entsprechende Bewertungskriterien müssen im Vorfeld erarbeitet bzw. erläutert und transparent gemacht werden.

Eine weitere Möglichkeit in diesem Genre ist die Synchronisierung. Was meine ich damit? Die Lernenden erhalten ein fertiges Video, allerdings ohne Ton. Die Aufgabe, die (vielleicht) etwas mehr technisches Knowhow erfordert, besteht dann darin, dass die Lernenden das Video selbst vertonen müssen. Wurden mit dem ersten Format die Kompetenz „3.1.2. Eine Produktion planen und in verschiedenen Formaten gestalten, präsentieren, veröffentlichen oder teilen“ (vgl. KMK) angesprochen, so ist es nun der Bereich „3.2.2. Informationen, Inhalte und vorhandene digitale Produkte weiterverarbeiten und in bestehendes Wissen integrieren.“ Mit diesem Ansatz kann es gelingen auch Lernende, die eher weniger ausgeprägte mathematische Kompetenzen besitzen, hier – und ich verweise gerne erneut auf die Operatoren – in den Anforderungsbereich II zu bringen. Auf Basis der baden-württembergischen Operatoren findet hier „beschreiben“ statt, was als „Strukturen, Sachverhalte, Prozesse und Eigenschaften von Objekten in der Regel unter Verwendung der Fachsprache wiedergeben“ definiert ist.

Mit der dritten Einsatzmöglichkeit von Lernvideos möchte ich vor allem auch auf die Kompetenz „1.2.2. Informationsquellen analysieren und kritisch bewerten“ eingehen. Stellt man hier den Bezug zu den Operatoren her, dann stellt man fest, dass man sich mit „analysieren“ und „bewerten“ bereits im Anforderungsbereich III befindet. Hier wird es nun auf die Qualität der Analyse und der (kritischen) Reflexion ankommen, aber zunächst zur Aufgabe. Die Lernenden erhielten ein Lernvideo eines bekannten Mathe-Tubers und die folgende Aufgabenstellung:

  1. Beschreibe, worum es in diesem Video konkret geht.
  2. Bewerte das Video hinsichtlich der Verständlichkeit, der mathematischen Genauigkeit, der Verwendung mathematischer Begrifflichkeiten und der Darstellung.
  3. Nenne drei Punkte, die du anders machen würdest und begründe, wie du das tun würdest.

Ob diese Fragen die richtigen sind, oder ob man es offener halten könnte bzw. das sollte, dies möchte ich dem persönlichen Geschmack eines jeden einzelnen überlassen. De facto, dies zeigen auch die zwei mitgelieferten Lösungen von zwei Lernenden, wurde diese Aufgabe sehr unterschiedlich und auch sehr differenziert von den Lernenden gelöst und das auf einem wirklich ansprechenden Niveau.

Summa summarum eigenen sich Lernvideos sehr gut, um hieraus zeitgemäße Prüfungsaufgaben zu entwickeln und mehr noch, sie bieten Potentiale dahingehend, die Lernenden auf ein Anforderungsniveau zu bringen, welches man ihnen und sie sich selbst oftmals nicht zutrauen würden.

Kurzes theoretisches Intermezzo

Phillipe Wampfler (Lehrer, Fachdidaktiker, Kulturwissenschaftler und Experte für Lernen mit Neuen Medien) hat in einem Vortrag vier Schritte formuliert, um von traditionellen Prüfungen zu zeitgemäßen Prüfungsaufgaben zu kommen.

Mit den bereits vorgestellten Ideen ist es bereits möglich die beiden ersten Schritte zu gehen. Jetzt möchte ich noch eine Möglichkeit zeigen, wie auch der dritte Schritt ermöglicht werden kann. Schritt 4, dies nehme ich vorweg, ist mir bisher noch nicht gelungen.

Work in progress – die Klassenarbeit in der Verlängerung

Hierzu gehe ich nochmals auf meine Eingangsidee ein. Aus einem Pool von Aufgaben, bearbeiten die Lernenden, beispielsweise während des Unterrichts eine Aufgabe und stellen diese in ein kollaboratives Dokument. In bestimmten Abständen kann der Lehrende nun die Aufgaben kommentieren, berichtigen, falsifizieren und in einem kurzen (Audio-)Feedback entsprechende Impulse zur Korrektur oder für weitere Aufgaben liefern. Die Klassenarbeit wächst parallel zum Lernprozess. Ob hier Aufgaben vorgegeben werden, ob die Mitlernenden die Aufgaben und Lösungen ebenfalls einsehen und kommentieren dürfen, ob alle die gleichen Aufgaben machen oder hier differenziert wird, all das sind Entscheidungen, die die Lehrperson für die jeweilige Lerngruppe treffen muss. Werden wir aber abschließend bezogen auf die Kompetenz „3.2.1. Inhalte in verschiedenen Formaten bearbeiten, zusammenführen, präsentieren und veröffentlichen oder teilen“ nochmal konkret.

Die Lernenden haben für eine Klassenarbeit einen Pool an Aufgaben erhalten. Sie stellen sich die Arbeit selbst zusammen und entscheiden auch, wann sie diese (eine feste Deadline ist festgelegt) bearbeiten wollen. Nach Abschluss der Deadline erhalten die Lernenden ein Feedback und weitere Aufgaben, aus denen sie auswählen können. Das Feedback hilft die alten Aufgaben zu überarbeiten und bereitet auf die neuen, die wieder selbst zusammengestellt werden, vor. Lege ich dies über drei Runden an, so erhalte ich eine Klassenarbeit mit 6 bis 9 Aufgabe, die jeweils auf dem Niveau entstanden sind, welches der Lernende fähig ist zu leisten und die Art und Weise der Lösung und der Präsentation der Ergebnisse, bleibt dem Lernenden überlassen.

Zusammenfassend: es lohnt sich!

Neue Prüfungsformate zu erproben und auszuprobieren ist nicht nur spannend, es fordert Lehrende und Lernende gleichermaßen. Das kann man nicht eben mal machen. Es ist ein Prozess, den man gemeinsam mit den Lernenden gehen und aushandeln muss. Ein erster Schritt ist die genannte Academic Honesty Erklärung. Die zu stellenden Aufgaben müssen fachlich und didaktisch sinnvoll und begründet sein. Einen ersten Einblick, auch in die Verzahnung mit den Anforderungen der Lehr- und Bildungspläne, sowie den Bezug zu den KMK Standards „Bildung in der digitalen Welt“, habe ich in diesem Beitrag hoffentlich geben können. Es lohnt sich!

NOISE!

„Wherever there is judgement, there is noise – and more of it than you think.“

Vor einiger Zeit griff ich eine Tweet-Folge von Axel Krommer auf, der „obwohl erneut zum wiederholten Male absolut niemand danach gefragt hat“ seine aktuelle Literaturempfehlungen getweetet hatte und fragte – mit Blick auf die Sommerferien, was denn Axel Krommer so aktuell lese.

Die Antwort auf meinen Tweet kam natürlich prompt:

Bild

Aus dieser Liste habe ich mich dann nach kurzer Recherche für „Noise. A Flaw in Human Judgement“ von Kahnemann, Sibony und Sunstein entschieden. Die drei Autoren sind Professoren aller höchsten Renommees und mit höchsten Ehren bereits bedacht. Der Gegenstand „Noise“ an sich ist kein Thema von großer Aktualität. Sie selbst beziehen sich u.a. auf eine Studie mit 22 Ärzten, die jeweils die gleichen 13 Angiogramme zweimal im Abstand von mehreren Monaten untersuchten und zwischen 63 Prozent und 92 Prozent mit sich selbst nicht übereinstimmten, führen dies aber weiter „Drawing on the latest findings in psychology and behavioral economics, and the same kind of diligent, insightful research that made Thinking, Fast and Slow and Nudge groundbreaking New York Times bestsellers, Noise explains how and why humans are so susceptible to noise in judgment — and what we can do about it.“ Einen ersten Einblick kann man im folgenden Video, einer kleinen Buchbesprechung, erhalten.

Book Talk: „Noise – A Flaw in Human Judgment“ (Kahneman, Sibony, Sunstein, Brockman)

Worum geht es im Kern – zumindest so, wie ich es verstanden habe? Täglich sind Entscheidungen zu treffen. Im vorliegenden Buch vor allem mit Bezug auf Richter und das Versicherungswesen, aber diese Entscheidungen – das wird ebenfalls im Buch deutlich – beziehen sich auf alle Bereiche. Beruflich, wie auch privat. Das unsere Entscheidungen und Urteile nicht immer objektiv sind, sondern immer einer gewissen Subjektivität unterworfen sind, zeigt sich schon allein darin, dass es immer größere Bemühungen und Bestrebungen, Methoden und Möglichkeiten gibt so genannte „Bias“ auszuschließen. Beziehen wir uns rein auf die Übersetzung, so schlägt PONS u.a. diese Übersetzungen vor:

https://de.pons.com/%C3%BCbersetzung/englisch-deutsch/bias

Kahnemann, Sibony und Sunstein geht es allerdings nicht um diese Subjektivität und auch nicht darum, wie Bias beispielsweise in der Psychologie, Wirtschaft oder Soziologie verstanden wird. Es geht ihnen um mehr, um „NOISE“. Um die Tatsache, dass selbst wenn alle „Bias“ ausgeschlossen werden, es dennoch zu nicht unerheblichen Abweichungen in den Urteilen/Entscheidungen kommen noch. Kurz: die Persönlichkeit, der Geschmack, aber auch Dinge, wie das Wetter oder das Abschneiden des Lieblingsvereins am zurückliegenden Wochenende. „Überall, wo Urteile getroffen werden, gibt es Noise, und zwar mehr, als man denkt.“ Und diese Fehler sind in sich nicht konsistent, machen es also nahezu unmöglich diese vorherzusagen oder zu erforschen. Diese Entscheidungen sind insofern relevant, weil diese sich „anreichern“. „In noisy systems, errors do not cancel out. They add up“ (S. 29).

Wie äußert sich NOISE konkret?

Bereits eingangs bin ich auf die Urteile von Richtern eingegangen, sie sich teils extrem voneinander unterscheiden. Weiter geht es um Versicherungen, deren Mitarbeiter bei identischen Fällen um bis zu 55% abweichen. Die Vermutung der Vorstände um wie viel Prozent abgewichen wird, lag bei 10-15%. Ähnliches Bild auch bei Banken, die bei Betrachtung von Objekten hinsichtlich der Kreditvergabe um bis zu 45% voneinander abwichen. Ich habe mir erlaubt diese Gedanken weiterzuspinnen und habe im #twitterlehrerzimmer gefragt, inwiefern man davon ausgeht, dass die Schülerleistungen – abhängig vom Bewerter – abweichen.

Es fällt auf, dass auch hier eine Mehrheit eine Abweichung bei 10-25% sieht, wobei 73 Abstimmungen zugegebenermaßen nicht repräsentativ sind. Da es – sowohl bei den Versicherungen wie auch den Kreditabteilungen – klare Kriterien und Vorlagen gibt, liegt die Vermutung nahe, dass sich NOISE auch auf die Schule übertragen lässt. Dies alles schließt nicht aus, dies bestätigen auch die Autoren, dass es Menschen gibt, die ihre Arbeit sehr gut machen. Noise existiert aber und dies vor allem, wenn Intuition eine Rolle spielt. Warum ich jetzt gerade an mündliche Noten denken muss…?

Wie kann man NOISE begegnen?

Die Autoren schlagen „Noise-Audits“ vor. Ein zu fällendes Urteil wird von mehreren Fachpersonen – unabhängig voneinander – abgegeben. Außerdem sollen Prozessbeschreibungen die Qualität von „Urteilen“ verbessern. Die Idee dahinter ist eine Art menschlicher Algorithmus. Nach der Diskussion über die unterschiedlichen Urteile werden Regeln aufgestellt, an die man sich bei weiteren Entscheidungen hält. Dadurch entstehen bzw. gibt es bereits Normen und Richtlinien. Die Autoren verweisen aber auch darauf, dass es dann, wenn es um die Berücksichtigung und Verarbeitung von großen Datenmengen geht, ein Algorithmus notwendig sei, wenngleich auch dieser voreingenommen sein kann.

Noise in der Schule?

Mehr als einmal musste ich beim Lesen des Buches an die Schule und die meist vorherrschende Noten- und Prüfungskultur denken. Wie oft treffen wir möglicherweise noisy-Urteile? Wie oft summieren sich diese zum Nachteil der Lernenden? Ja, Kahnemann bezieht sich auf Unternehmen und Versicherungen. Das Auftreten von Noise bei Richtern und Ärzten lässt aber vermuten, dass ein Transfer auf die Schule nicht abwegig ist. Von daher wäre es vielleicht ein guter Schritt anzuerkennen, dass Noise ein Problem ist. In einem zweiten Schritt sollte man dann versuchen es zu messen, um daraus dann ein Noise-audit abzuleiten. Für mich bleibt ein verfestigter Eindruck, dass die Prüfungskultur, die wir bisher haben durch dieses Buch noch ungerechter geworden ist.

Literaturverzeichnis

„Master or die“ in der Praxis

Dank Björn Nölte bin ich zu „Master or die“ gekommen, habe mich damit beschäftigt und überlegt, ob ich dies nicht auch einsetzen könnte. Was genau darunter zu verstehen ist, kann man u.a. hier nachsehen:

digital statt digitalisieren #8: neue Leistungsbewertung – Björn Nölte

Ich habe mich entschieden im Musikunterricht dieses Format auszuprobieren. Hintergrund ist, dass ich es „hasse“ in Musik Klassenarbeiten zu schreiben und ich mir überlegt hatte, dass dieses Format auch im Falle einer möglichen erneuten Schulschließung tragfähig ist.

Vorbereitung

Zum Schuljahresbeginn im September wollte ich starten und hatte mir dafür meine Musikklassen der Klassenstufe 8, 9 und 10 ausgewählt. Ich war mir über diese Neuheit bewusst und habe mir viel Zeit für die Einführung gelassen. Da Musik in diesen Klassenstufen nur einstündig stattfindet, habe ich jede Woche einen kleinen Input gegeben, erklärt und Fragen beantwortet. Außerdem habe ich versucht ein Schüler:innenfreundliches Erklärvideo zur Verfügung zu stellen.

https://videos.mysimpleshow.com/tdz6aZeKJm

Da wir mit Teams arbeiten, hat jede Schüler:in im jeweiligen Musik-Team ein Dokument angelegt. In diesem Dokument sollten die Schüler:innen ihre Planungen, Überlegungen und Ideen sammeln. Hier hatte ich und die Mitschüler:innen auch die Gelegenheit das Ganze zu kommentieren.

Aufgrund der Einstündigkeit des Faches hatte ich einen sehr großzügigen Zeitraum gewählt, von Oktober bis Mitte Januar. Dabei gab es rund und die Herbst- und Weihnachtsferien ein Feedback von mir (für jeden) und darüber hinaus natürlich immer wenn die Schüler:innen es gewünscht hatten. Drei Klassenstufen á drei Klassen macht 220 Schüler:innen. Das war tatsächlich der Punkt an dem ich etwas übermotiviert war und mir in machen Wochen bis zu 850 Nachrichten einbrachten. Aber es hat sich gelohnt.

Eine große Schwierigkeit war es, sich selbst einzuschätzen und zu überlegen welche Note man bekommen und was man dafür investieren wollte.

Durchführung

Es war mein Bestreben einerseits möglichst offene Aufgaben zu stellen, gleichzeitig diese aber so zu gestalten, dass es zum Unterricht passte und dieser somit die Aufgaben „flankierte“.

  • Die Klasse 8 erhielt die Aufgabe ein Musical vorzustellen
  • Die 9. Klasse musste einen Film erstellen
  • Klasse 10 sollte sich eine Oper auswählen, eins bis drei Szenen auswählen und diese in die heutige Zeit übersetzen und „aktuelle“ Musik dazu auswählen.

Die Themen wurden parallel im Musikunterricht behandelt, so dass die Schüler:innen Input für ihre Arbeit bekommen konnten und sich auch daran entlanghangeln konnten. So thematisierten die Wirkung von Filmmusik und Kameraeinstellungen, analysierten eine Oper (Carmen) und befassten uns mit Musicals und deren Entwicklung. Für viele Schüler:innen erwies es sich als tolle Aufgabe sich künstlerisch zu entfalten. Einige taten sich schwer damit, wenige verweigerten oder lieferten magere Ergebnisse an. Die parallele Dokumentation fiel vielen Schüler:innen schwer, doch die meisten schafften es mit Unterstützung und forderten danach auch immer mehr Feedback ein.

Die Ergebnisse

Kurz: es war der Hammer. Ich bekam Dokumenttationen, Präsentationen, eBooks, selbstgedrehte Filme, Filme über mysimpleshow, Schattenspiele, Tanzvideos. Kurz: es war eine Freude es anzusehen und zu bewerten.

Oftmals hatte es sich schon angedeutet, dass die Schüler:innen die angestrebte Note positiv übertreffen und wir konnten dann nachverhandeln.

Turandot heute

Schöne und das Biest – selbst gezeichnete Präsentation

Musikvideo

Ich könnte hier noch so weitermachen. Es war toll, es war herausfordernd, ich mache es wieder, aber nicht mit so vielen.

Klassenarbeit im Fernunterricht

Mit meinem ersten Blogbeitrag überhaupt möchte ich kurz darstellen, wie ich meine erste Online-Klassenarbeit vorbereitet, durchgeführt und bewertet habe.

Gleich vorweg: offiziell hätte ich das nicht tun dürfen. Ich hätte die Schüler:innen in Gruppen einbestellen und die Arbeit vor Ort schreiben lassen müssen. In Anbetracht der damaligen Viruslage, aber auch unter der Berücksichtigung, dass in der Klasse Schüler:innen sind in deren Ort täglich nur zweimal ein Bus fährt, kam diese Variante für mich nicht in Frage. Da die Erlaubnis also nicht vorliegt, habe ich eigentlich keine Klassenarbeit geschrieben, sondern die Schüler:innen haben mir Präsentationen von Aufgaben eingereicht.

Im Vorfeld

Ich habe sehr von den Tweet von Hendrik Haverkamp (@hav_hendrik) profitiert und mich auch ein wenig an diesen entlang gehangelt.

Zunächst habe ich mit den Schüler:innen den Aufsatz von Lars Mecklenburg „Bevor du beginnst“ gelesen, besprochen und davon ausgehend überlegt, welche „Richtlinien“ für uns wichtig sind. Daraus entstand dann eine „Academic Honesty Erklärung“, die alle Schüler:innen unterzeichnet haben. Danach stand für mich eine kleine Rundreise auf dem Programm. Alle Schüler:innen bekamen von mir ein kleines Online-Klassenarbeits-Kit eingeworfen. Darin nochmals der genaue Ablauf, karierte Doppelbögen und Schokobons. Also nahezu so, wie wenn es analog wäre. Den Schüler:innen stand es frei die Klassenarbeit digital oder auf Papier zu schreiben. Sie konnten die Ergebnisse online oder im Briefkasten abgeben.

https://larsmecklenburg.medium.com/bevor-du-beginnst-6b57bfd053f3

Da es sich um eine Abschlussklasse handelt, war ich mit meinen Aufgaben auf Prüfungskonformität ausgerichtet. Ich habe zwei Klassenarbeiten entworfen und dann nochmals, ausgehend von den Arbeiten, Aufgaben gemischt, so dass vier Arbeiten entstanden sind (1-1 | 1-2 | 2-2 | 2-1). Dies möchte ich nicht als mangelndes Vertrauen verstanden wissen. Mir ging es eher darum, dass hier ggf. neue Kommunikationspartner gesucht werden und nicht nur „my best friend“.

Eine Aufgabe war in allen Arbeiten gleich. Diese habe ich versucht offen anzulegen:

Es standen also zwei Aufgaben zur Auswahl und auch deren Bearbeitung ließ unterschiedliche Wege zu bzw. griff die Aufgabe auf eine Onlineanwendung zurück. Ich nehme es vorweg, nur ein Schüler hat ein Video eingereicht, das war aber Hammer.

Die Arbeit selbst

Die Arbeit schaltete sich um 7.30 Uhr frei, die Schüler:innen hatten bis 15 Uhr Zeit diese abzugeben, die Bearbeitungsmöglichkeiten hatte ich erwähnt. Interessant bereits hier, dass nicht alle schon um 7.30 Uhr die Arbeit abriefen. Manch einer startete tatsächlich erst um 9 Uhr. Unter Berücksichtigung der inneren Uhr / des Biorhythmus absolut sinnvoll und empfehlenswert.

Alle Schüler:innen notierten ihren Zeitbedarf. Ich sehe hier keinen Grund diesen Angaben zu misstrauen. Fast alle blieben in einem akzeptablen Zeitrahmen, der zwischen 60 und 120 Minuten lag. Berücksichtigt man, dass einige Schüler:innen Tipps gaben, dann ist dies aus meiner Sicht vollkommen vertretbar. Ebenso wurde allen Ideen- und Impulsgeber genannt, so dass ich mit diesen auch hätte sprechen können, inwiefern hier geholfen wurde. Da es sich teils aber um andere Aufgaben gehandelt hat, hätte die befragte Schüler:in ja teils komplett neu rechnen müssen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass dies jemand freiwillig tut 😉

Danach

Ich habe die Arbeiten danach ganz normal korrigiert. Sowohl digital, als auch analog und den Schüler:innen dann via vocaroo ein Feedback gegeben, die Punkte und die Noten mitgeteilt. Zwei Schüler hatten exorbitant mehr Zeit benötigt. Mit diesen werde ich jetzt noch Gespräche führen. Der Schnitt dieser Arbeit ist vergleichbar mit den Arbeiten zuvor und auch im Vergleich mit den Arbeiten aus anderen Jahrgängen zu diesem Thema absolut im Normbereich. Das Notenspektrum wurde voll ausgeschöpft.

Wie geht es weiter?

Ich habe für mich festgehalten wer wem Hilfestellungen gegeben hat, so dass ich auch auf diese Leistung zurückgreifen kann. Ob und falls ja, wie ich dies werte, weiß ich noch nicht, theoretisch wäre es eine mündliche Leistung. Das Feedback der Schüler:innen war durchweg positiv. Niemand glaubte, dass hier jemand gemogelt hatte. Eine Schüler:in wies mich sogar darauf hin, dass es ja möglich war, dass Mathe-Apps auch Aufgaben in Abhängigkeit von e lösen können. Dies eröffnet neue Aufgabenformate. Super!

Ich kann mir durchaus vorstellen Klassenarbeiten weiterhin so durchzuführen. Dabei würde ich gerne das Format weiter öffnen und mehr Operatoren bezogene Aufgaben stellen, in denen die Schüler:innen z.B. mittels Sprachnachricht begründen und erklären.

Es war ein Anfang. Es war sicher nicht perfekt. Es wird noch ein weiter Weg zu einer anderen Prüfungskultur. Das Vertrauen, das die Schüler:innen aber hier gespürt haben ist Gold wert und viele legen seither eine deutlich veränderte Mitarbeit im Onlineunterricht an den Tag.