Ideen für zeitgemäße Prüfungsaufgaben in altbekanntem Format

Wir können uns die schönsten Dinge, Aufgaben, oder Herausforderungen überlegen: am Ende werden die Lernenden immer fragen, ob bzw. was in der Prüfung drankommt (vgl. https://pruefungskultur.de/). Die Krux dabei ist, an den Prüfungsformaten werden wir nichts ändern können und eine schnelle Veränderung der Formate ist – zumindest kurzfristig – nicht zu erwarten. Daher die Überlegung ein altbekanntes Format wie die Klassenarbeit zu nehmen, deren Struktur auch beizubehalten, aber hier Aufgabenformate einzubauen, die zeitgemäßer sind und auch eine Förderung der 21st century Skills bzw. der Kompetenzen der KMK-Strategie (auf die sich die Kompetenzangaben im Beitrag beziehen) mit sich bringt.
Den folgenden Beitrag schreibe ich aus meiner Sicht und Erfahrung als Mathematiklehrer. Ich bin der festen Überzeugung, dass sich die Ideen auch auf andere Fächer übertragen lassen. Die beschriebenen Aufgaben habe ich so durchgeführt, formuliere aber häufig im Konjunktiv, da ich es als Angebot sehe, welches angenommen werden kann.
Nähert man sich diesem Thema, dann sollte man die Sichtweisen aller Beteiligten berücksichtigen. Nicht nur von Seiten der Lernenden, die danach fragen was sie für die Prüfung benötigen. Gleichwohl muss man sich beim Einsatz „anderer“ Aufgabenformate auch mit den Lehrenden und deren Befürchtungen auseinandersetzen. Eine der größten Sorgen ist hierbei die Frage nach der Überprüfbarkeit und der Sicherheit, dass die Ergebnisse der Lernenden von diesen selbst erstellt wurden. Oder kurz: Ausschluss von Täuschungen. Da die Entschärfung dieser Sorge die Grundlage für andere, zeitgemäße Prüfungs- bzw. Aufgabenformate ist, möchte ich hiermit beginnen.
Bevor es losgeht – Die Academic Honesty Erklärung
Lars Mecklenburg hat mit seinem Aufsatz „Bevor du beginnst“ einen großartigen Artikel geschrieben, den man gemeinsam mit den Lernenden bearbeiten, lesen und diskutieren sollte, ehe man mit offenen Aufgabenformaten beginnt. Am Ende dieser Erarbeitung steht eine Academic Honesty Erklärung, die die Lernenden gemeinsam – am besten kollaborativ – erstellen. In dieser Erklärung werden gemeinsame Richtlinien und Vorgaben erstellt, die von jedem Lernenden unterschrieben und somit akzeptiert werden. Dadurch befindet sich ein jeder in der Verantwortung sich an die Regeln zu halten, die man sich selbst gegeben hat. Ein Beispiel könnte so aussehen:
Zeitgemäße Prüfungsaufgaben – ein erster Einstieg
Ein erster Schritt, um mit neuen Formaten zu beginnen ist m.E. altbekannte Formate, wie die klassische Klassenarbeit zu nehmen und diese weiterzuentwickeln. Zwei Möglichkeiten möchte ich im Folgenden vorstellen.
Eine Möglichkeit wäre es einen Aufgabenpool mit den Lernenden zu entwickeln. Dieser Pool – basierend auf der Kompetenz „Suchen, Verarbeiten und Aufbewahren“ – kann mit unterschiedlichen Tools erstellt und erweitert werden. Stellvertretend für viele andere sei hier TaskCards genannt. Auf einer virtuellen Pinnwand sollen nicht nur Aufgaben gesammelt und strukturiert werden, die Lernenden können diese auch bewerten, also liken, und kommentieren. Außerdem besteht die Möglichkeit Lösungswege und Lösungsideen zu ergänzen und zu diskutieren. Aus diesem Pool kann dann entweder eine Klassenarbeit erstellt werden, oder die Lernenden stellen sich aus diesem Pool selbst eine Klassenarbeit zusammen. Der letzte Punkt würde vor allem auch die Kompetenz Kommunizieren und mathematisch argumentieren stärken (vgl. Bildungsstandards Mathematik). Die Lernenden könnten hier mit Aufgaben beginnen, bei denen sie sich sicher fühlen. Mit Hilfe von Feedback wäre es möglich sie dann dazu zu bringen – im Sinne eines formativen Assessments – ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten weiterzuentwickeln. Ein Beispiel für eine solche Aufgabensammlung ist hier verlinkt.
Aufgaben selbst entwickeln – durch die Lernenden
Will man sich mit zeitgemäßen Formaten auseinandersetzen, so kommt man – auch über die definierten Kompetenzen – zu dem Schluss, dass das bloße Lösen von Aufgaben nicht die Sinnhaftigkeit von Mathematik sein kann. Daher die Überlegung die Lernenden selbst Aufgaben entwickeln zu lassen. Auch hier kann man differenzierend und im Sinne des formativen Assessments vorgehen (siehe hierzu auch den Artikel von Björn Nölte „Formative Assessment: Bewerten um des Lernens Willen„). Gerade in Baden-Württemberg helfen auch die Operatoren des Bildungsplans, die es in anderen Bundesländern in ähnlicher Form gibt, und die die Lernenden dabei unterstützen können Aufgaben von unterschiedlicher Schwierigkeit zu erstellen – natürlich auch deren Lösungen. Neben der Kompetenz „Mathematisch modellieren“, sind wir hier im Bereich der Bildung in der digitalen Welt im Kompetenzbereich „Produzieren und Präsentieren“. Auch die Quantität und Qualität der Aufgaben können Kriterien zur Bewertung dieser Prüfungsaufgabe sein. Moment mal… Quantität? Also wer viel einreicht wird belohnt? Mitnichten. Hier gilt es abzuwägen zwischen Lernenden, die sich einbringen möchten (der Pool kommt ja allen zugute) und die einfach motiviert sind Aufgaben begründet und reflektiert einzureichen und Lernenden, die wahllos und unreflektiert etwas abgeben. Quantität bezieht sich hier mehr darauf einen eventuellen „flow“, eine Auseinandersetzung mit Mathematik nicht zu bremsen.
(Lern-)Videos in Prüfungen
Videos eignen sich aus meiner Sicht sehr gut dazu, um in Prüfungen eingesetzt zu werden. Drei unterschiedliche Einsatzmöglichkeiten möchte ich an dieser Stelle skizzieren.
Warum ein Video nicht als Produkt einer Klassenarbeit gilt, ist vermutlich ausschließlich auf den zeitlichen Rahmen und die Störung der Mitlernenden zurückzuführen. Dennoch würde sich ein Lern- oder Erklärvideo durchaus als asynchrone Prüfungsaufgabe anbieten. Gute Ergebnisse habe ich hier bei der Aufgabe zur Herleitung des Satz des Pythagoras bzw. zur Erklärung des Einheitskreises anhand einer trigonometrischen Funktion gemacht. Hier kann auch differenziert werden, indem die Lernenden Material zur Unterstützung anfordern können. Zentral muss sein, dass die Lernenden in der Lage sind bzw. sie die Kompetenzen zur Erstellung eines solchen Videos haben. Die Gefahr, dass hier ein bereits bestehendes Video reproduziert wird, ist gering.
Zum einen gilt weiterhin die Academic Honesty Erklärung, zum anderen ist allein das sprachliche Mittel ein Indikator dafür, ob das Video selbst erstellt wurde, oder nicht. Entsprechende Bewertungskriterien müssen im Vorfeld erarbeitet bzw. erläutert und transparent gemacht werden.
Eine weitere Möglichkeit in diesem Genre ist die Synchronisierung. Was meine ich damit? Die Lernenden erhalten ein fertiges Video, allerdings ohne Ton. Die Aufgabe, die (vielleicht) etwas mehr technisches Knowhow erfordert, besteht dann darin, dass die Lernenden das Video selbst vertonen müssen. Wurden mit dem ersten Format die Kompetenz „3.1.2. Eine Produktion planen und in verschiedenen Formaten gestalten, präsentieren, veröffentlichen oder teilen“ (vgl. KMK) angesprochen, so ist es nun der Bereich „3.2.2. Informationen, Inhalte und vorhandene digitale Produkte weiterverarbeiten und in bestehendes Wissen integrieren.“ Mit diesem Ansatz kann es gelingen auch Lernende, die eher weniger ausgeprägte mathematische Kompetenzen besitzen, hier – und ich verweise gerne erneut auf die Operatoren – in den Anforderungsbereich II zu bringen. Auf Basis der baden-württembergischen Operatoren findet hier „beschreiben“ statt, was als „Strukturen, Sachverhalte, Prozesse und Eigenschaften von Objekten in der Regel unter Verwendung der Fachsprache wiedergeben“ definiert ist.
Mit der dritten Einsatzmöglichkeit von Lernvideos möchte ich vor allem auch auf die Kompetenz „1.2.2. Informationsquellen analysieren und kritisch bewerten“ eingehen. Stellt man hier den Bezug zu den Operatoren her, dann stellt man fest, dass man sich mit „analysieren“ und „bewerten“ bereits im Anforderungsbereich III befindet. Hier wird es nun auf die Qualität der Analyse und der (kritischen) Reflexion ankommen, aber zunächst zur Aufgabe. Die Lernenden erhielten ein Lernvideo eines bekannten Mathe-Tubers und die folgende Aufgabenstellung:
- Beschreibe, worum es in diesem Video konkret geht.
- Bewerte das Video hinsichtlich der Verständlichkeit, der mathematischen Genauigkeit, der Verwendung mathematischer Begrifflichkeiten und der Darstellung.
- Nenne drei Punkte, die du anders machen würdest und begründe, wie du das tun würdest.
Ob diese Fragen die richtigen sind, oder ob man es offener halten könnte bzw. das sollte, dies möchte ich dem persönlichen Geschmack eines jeden einzelnen überlassen. De facto, dies zeigen auch die zwei mitgelieferten Lösungen von zwei Lernenden, wurde diese Aufgabe sehr unterschiedlich und auch sehr differenziert von den Lernenden gelöst und das auf einem wirklich ansprechenden Niveau.


Summa summarum eigenen sich Lernvideos sehr gut, um hieraus zeitgemäße Prüfungsaufgaben zu entwickeln und mehr noch, sie bieten Potentiale dahingehend, die Lernenden auf ein Anforderungsniveau zu bringen, welches man ihnen und sie sich selbst oftmals nicht zutrauen würden.
Kurzes theoretisches Intermezzo
Phillipe Wampfler (Lehrer, Fachdidaktiker, Kulturwissenschaftler und Experte für Lernen mit Neuen Medien) hat in einem Vortrag vier Schritte formuliert, um von traditionellen Prüfungen zu zeitgemäßen Prüfungsaufgaben zu kommen.
Mit den bereits vorgestellten Ideen ist es bereits möglich die beiden ersten Schritte zu gehen. Jetzt möchte ich noch eine Möglichkeit zeigen, wie auch der dritte Schritt ermöglicht werden kann. Schritt 4, dies nehme ich vorweg, ist mir bisher noch nicht gelungen.
Work in progress – die Klassenarbeit in der Verlängerung
Hierzu gehe ich nochmals auf meine Eingangsidee ein. Aus einem Pool von Aufgaben, bearbeiten die Lernenden, beispielsweise während des Unterrichts eine Aufgabe und stellen diese in ein kollaboratives Dokument. In bestimmten Abständen kann der Lehrende nun die Aufgaben kommentieren, berichtigen, falsifizieren und in einem kurzen (Audio-)Feedback entsprechende Impulse zur Korrektur oder für weitere Aufgaben liefern. Die Klassenarbeit wächst parallel zum Lernprozess. Ob hier Aufgaben vorgegeben werden, ob die Mitlernenden die Aufgaben und Lösungen ebenfalls einsehen und kommentieren dürfen, ob alle die gleichen Aufgaben machen oder hier differenziert wird, all das sind Entscheidungen, die die Lehrperson für die jeweilige Lerngruppe treffen muss. Werden wir aber abschließend bezogen auf die Kompetenz „3.2.1. Inhalte in verschiedenen Formaten bearbeiten, zusammenführen, präsentieren und veröffentlichen oder teilen“ nochmal konkret.
Die Lernenden haben für eine Klassenarbeit einen Pool an Aufgaben erhalten. Sie stellen sich die Arbeit selbst zusammen und entscheiden auch, wann sie diese (eine feste Deadline ist festgelegt) bearbeiten wollen. Nach Abschluss der Deadline erhalten die Lernenden ein Feedback und weitere Aufgaben, aus denen sie auswählen können. Das Feedback hilft die alten Aufgaben zu überarbeiten und bereitet auf die neuen, die wieder selbst zusammengestellt werden, vor. Lege ich dies über drei Runden an, so erhalte ich eine Klassenarbeit mit 6 bis 9 Aufgabe, die jeweils auf dem Niveau entstanden sind, welches der Lernende fähig ist zu leisten und die Art und Weise der Lösung und der Präsentation der Ergebnisse, bleibt dem Lernenden überlassen.
Zusammenfassend: es lohnt sich!
Neue Prüfungsformate zu erproben und auszuprobieren ist nicht nur spannend, es fordert Lehrende und Lernende gleichermaßen. Das kann man nicht eben mal machen. Es ist ein Prozess, den man gemeinsam mit den Lernenden gehen und aushandeln muss. Ein erster Schritt ist die genannte Academic Honesty Erklärung. Die zu stellenden Aufgaben müssen fachlich und didaktisch sinnvoll und begründet sein. Einen ersten Einblick, auch in die Verzahnung mit den Anforderungen der Lehr- und Bildungspläne, sowie den Bezug zu den KMK Standards „Bildung in der digitalen Welt“, habe ich in diesem Beitrag hoffentlich geben können. Es lohnt sich!